Bahn-Orgelreise 2023 in Thüringen

Seit einigen Jahren bietet Hans-Eugen Ekert Orgelreisen zu historischen Orgeln an, so auch im Juli 2023 nach Thüringen.

Untergebracht waren wir zunächst im Bildungshaus St. Ursula in Erfurt. Nachdem alle mehr oder weniger reibungslos die Fahrt mit der Deutschen Bahn hinter sich gebracht hatten, konnten wir uns mit einem gemeinsamen Abendessen für den ersten Programmpunkt stärken. Wir waren zum Konzert von Herrn Ekert in die katholische Kirche St. Crucis in Erfurt eingeladen, nebenbei die einzige barocke Kirche der Stadt. Das Konzert stand unter dem Motto „Gravität und Poesie“ und beeinhaltete Werke von Georg Muffat, Johann Jacob Froberger, Johann Pachelbel, Johann Christoph und Johann Sebastian Bach. – Alles Werke, die den wunderbaren barocken Charakter der Orgel besonders schön zur Geltung brachten.

Hörproben zum Konzert

Sie ist von Franciscus Volckland  1732-37 erbaut und zuletzt von Orgelbau Schuke, Potsdam, 1999-2003 restauriert worden. Herr Ekert führte aus, dass das Werk ganz den klanglichen Vorstellungen eines Johann Sebastian Bachs entsprochen haben musste und der Klang von bedeutenden Personen der Zeit hoch geschätzt wurde.

Volckland ging bei renommierten Orgelbaumeistern in die Lehre, besaß allerdings nie das Orgelbauprivileg und fertigte die Orgel quasi im „Nebenerwerb“ an. Als Bürger der Sadt war er als Gastwirt und Bierbrauer tätig.

Nach dem Konzert hatten wir die Gelegenheit, die Orgel mit ihren außergewöhnlich schönen Registern noch ein wenig genauer kennen zu lernen. Als eine Besonderheit ist zu nennen das Register „Flöt douce“, dessen gedrechselte Pfeifen wie Blockflöten aussehen und genau so auch klingen.

Der Eindruck, der sich bereits beim Zuhören im Konzert einstellte, wurde beim Demonstrieren der Orgel noch einmal unterstrichen: dass sowohl die Auswahl der Stücke als auch die abwechslungsreiche und einfühlsame Registrierung in besonderer Weise dieser wunderbaren Orgel gerecht wurden. Ein rundum gelungenes Konzert, das wir in einer nahegelegenen Trattoria gemeinsam feierten.

Der Donnerstag begann nach einem ausgiebigen Frühstück mit einer Stadtführung in Erfurt durch Birgit Messerschmidt, die entsprechend unserer Zielgruppe den Schwerpunkt auf dem Werdegang des jungen Johann Sebastian Bach und seiner Familie legte. Wir wurden überaus kompetent durch die Stadt geführt und mit den Anfängen dieses Ausnahmemusikers konfrontiert. Der Vorfahre Johann Bach überzeugt und wird mit Handschlag in die Stadt­musikanten­kompagnie aufgenommen. Seine Wohnung wird das Haus „Zum Schwarzen Ross“ auf der Krämerbrücke (im Bild unten rechts: weitere Bachhäuser).

Fortan muss er an Markttagen um 10 Uhr von den Türmen der Stadt „feine geistliche Lieder zu musizieren“. Außerdem haben die Stadtmusikanten in den Kirchen zu spielen, und zwar in den evangelischen wie den katholischen.

Geistlicher Mittelpunkt der Bachfamilie in Erfurt ist die Kaufmannskirche. Dort finden wir auch auf einer Tafel die Genealogie der Familie, die das musikalische Leben der Stadt entscheidend prägte.

Man möge es mir verzeihen, dass hier der Bericht über die Stadtführung abbricht. Viel Interessantes gäbe es zu berichten; es würde den Rahmen dieses Reiseberichtes sprengen.

Der Nachmittag, nach einem sehr schmackhaften Mittagessen in St. Ursula, war wieder ganz dem Erkunden von historischen Orgeln gewidmet. Zunächst stand die Kirche St. Viti in Gispersleben auf dem Programm, errichtet von Johann Georg Kummer, Dachwig 1790.

Weiter ging es dann nach Büßleben, St. Petri, wo uns die Orgel von Georg Christoph Stertzing erwartete, der eng mit der Bachfamilie verbunden war. Sie wurde eigentlich für das Petersbergkloster Erfurt gebaut. Im Zuge der Säkularisierung erwarb die Gemeinde Büßleben die Orgel und ließ sie 1812 in die St. Petrikirche nach Büßleben umsetzen. Konkret bedeutete es, dass die ganzen Bewohner der Dorfes Pfeife für Pfeife eigenhändig von Erfurt nach Büßleben brachten. Ein Glücksfall der Geschichte, denn zwei Jahre später wäre sie sonst Opfer eines preußischen Bombardements geworden. So kann der „Förderkreis Stertzing-Orgel“ stolz darauf verweisen, dass Büßleben über die älteste nahezu original erhaltene Orgel der Stadt Erfurt verfügt.

Ungewohnt für unsere Ohren: die mitteltönige Stimmung, die das Musizieren nur auf „erlaubten“ Tonarten ermöglicht – für Organisten, die mit dem Instrument nicht vertraut sind, eine Herausforderung!

Der Freitag führte uns nach kurzer Fahrt nach Arnstadt, wo wir von dem zuständigen Stadtführer Thomas Roll in Empfang genommen wurden. Es begann mit dem Besuch des Stadtmuseums. Wir hatten das Glück, in der weltweit einmaligen Puppenstadt „Mon plaisir“ – „Mein Vergnügen“ eine der federführenden Restauratorinnen zu treffen, die an der Wiederherstellung und Neuordnung dieser unglaublichen Ausstellung arbeitet. Sie erzählte uns, dass unter Fürstin Auguste Dorothea von Schwarzburg-Arnstadt (1666–1751) dieses Kleinod größtenteils während ihrer 35jährigen Witwenzeit entstand. Handwerker schufen bis ins Detail das Bild einer kleinen Residenz zur Barockzeit. Die Arbeiten waren so kostspielig, dass die weitere Finanzierung nicht mehr möglich war. Der Leser möge sich ein Bild auf der Homepage des Museums machen.

Wir gingen weiter zum Modell der Kirche, in der Johann Sebastian seine erste Anstellung als Organist bekam. Es war die unbedeutenste Kirche, eine Kirche für das „gemeine Volk“. Die Ausstatung war dementsprechend karg und hat in dieser Hinsicht wenig Ähnlichkeit mit der heutigen Kirche (Bilder unten).

Nach diesen ersten Eindrücken machten wir uns auf den Weg zur Bachkirche, die in der Tat von ihrer Ausstattung her nur noch wenig mit der ursprünglichen Kirche gemein hat, wie sie Johann Sebastian gesehen hat. War damals das Holz aus Kostengründen unbemalt – und vom Ruß sicher dunkel -, sehen wir heute ein Gotteshaus in schöner Barockausstattung. Auch ein Tribut an unseren Geschmack, damit wir uns als Besucher und Konzertgänger wohl fühlen?

Nach einer Stärkung – natürlich echte Thüringer Bratwurst – ging es dann weiter mit der Vorstellung der Bachorgel durch den phantastischen Organisten Jörg Reddin.

Die Bachorgel geht zurück auf Johann Friedrich Wender, Mühlhausen/Thüringen, 1703. Sie wurde in den Jahren 1997 bis 1999 restauriert und rekonstruiert von Orgelbau Hoffmann, Ostheim vor der Rhön. Dabei konnten der Prospekt und 320 originale Pfeifen verwendet werden.

Die große Überraschung befand sich verborgen hinter einer Verkleidung: Eine weitere romantische Orgel. Sie wurde von der Firma Steinmeyer, Öttingen/Ries 1913 gefertigt und ist von erstaunlicher Qualität. Restauriert wurde auch sie von Orgelbau Hoffmann.

Die „Neue Kirche“ wurde 1676-1683 auf den Fundamenten der 1581 abgebrannten Bonifatiuskirche als barocke Saalkirche mit umlaufender dreigeschossiger Empore erbaut. Hier hatte Johann Sebastian Bach von 1703 bis 1707 seine erste Organistenstelle, gefolgt von seinem Cousin Johann Ernst Bach.

Beeindruckt vom Klang der beiden Orgeln und der Kunstfertigkeit des Kantors setzten wir unseren Weg fort zur Liebfrauenkirche und zur Oberkirche, wo wir jeweils noch eine Klangprobe der Liebfrauenorgel bzw. eines Cembalos in der Oberkirche bekamen.

Der Samstag führte uns nach einer Fahrt mit Hindernissen (wir standen zeitweilig auf dem falschen Bahnsteig, erreichten aber dennoch rechtzeitig den richtigen Anschluss) zur St. Blasiuskirche in Zella. Nach einem Stadtbrand wurde sie 1788-1773 errichtet. Das Kircheninnere hat Ähnlichkeiten mit einem Theater.

Die Orgel befindet sich im Bereich der zweiten Empore. Gebaut wurde sie von Johann Caspar Rommel (1721-1800) aus Roßdorf/Rhön.

Die nächste Station unserer Orgelreise war Bibra, wo wir die St. Leo-Kirche besichtigen konnten.

Wir wurden aufs Freundlichste empfangen und fachkundig durch das Gotteshaus geführt. Zu bewundern gab es neben zwei originalen Fresken („Christopherus“ und „Das jüngste Gericht“) drei Altäre, von denen mindestens zwei auf Tilmann Riemenschneider zurückgehen.

Die Orgel auf der 3. Empore mit ihrem niedrigen neugotischen Gehäuse wurde 1855 vom Schmiedefelder Orgelbauer Michael Schmidt (1798-1872) gebaut. Sie ist ein sehr qualitätvolles Werk mit 25 Registern und einem hohen Bestand an Originalregistern. Dadurch, dass die Prospektpfeifen stumm sind, blieb der gesamte Prinzipalchor in den Weltkriegen erhalten (die Prospektpfeifen mit hohem Zinngehalt wurden im 1. und auch 2. Weltkrieg von der Heeresverwaltung normalerweise konfisziert). Die Orgel wurde 1994 von der Orgelbauwerkstatt Otto Hoffmann in Ostheim v. d. Rhön restauriert.

Nach der beeindruckenden Orgelvorführung waren wir ins Pfarrheim eingeladen, wo für uns Kaffee und herrlicher selbstgebackener Kuchen bereitstanden.

Nach auch diesem wieder sehr erlebnisreichen Tag ging es zurück zur Klostermühle, wo wieder ein wunderbares Abendessen auf uns wartete.

Für mich war es in dieser Gruppe der letzte Abend und das letzte Frühstück. Der Heimweg wäre für mich mit dem letzten Teil des Programms sehr umständlich gewesen, weshalb ich mich nach dem Frühstück von allen verabschiedete und die Rückreise mit einem Abstecher in Eisenach antrat.

Fazit der Reise: Ein überaus abwechslungsreich gestaltete Reise mit einem Reiseleiter, der immer wieder durch sein unglaubliches Wissen über die ganze Orgellandschaft beindruckte; eine Reisegruppe, in der man sich nur wohlfühlen konnte; faszinierende Orgeln und Kirchen; perfekte Orgel- und Stadtführungen – was kann man noch mehr von einer solchen Reise erwarten?

Am Sonntag stand für die Reisegruppe die ehemalige Residenzstadt Hildburghausen auf dem Programm, beginnend mit einem Gottesdienst in der prächtigen Christuskirche mit ihrem lichten, weiß-golden gefassten Innenraum, mit dem berührenden Orgelspiel des Cantor loci Torsten Sterzik, der es sich trotz einer schweren Erkältung nicht nehmen ließ, uns seine dreimanualige Schmidt-Orgel von 1865 vorzustellen.

Er erzählte uns Wissenswertes und auch Erschreckendes über die ältere und jüngere Geschichte der Residenzstadt. Zum Beispiel, dass Jugendliche der FDJ noch in den frühen Achziger Jahren von den Verantwortlichen aufgefordert wurden, die Kirchenfenster gezielt mit Steinen einzuwerfen – und dass es jetzt hier Montagsdemonstrationen für Vladimir Putin gibt.

Beeindruckend war auch der Besuch im sehr ansprechend gestalteten Stadtmuseum. Es erzählt die Geschichte der kleinen kulturträchtigen Residenzstadt eines Staates, der bis 1918 existierte und ungefähr so groß war wie der heutige Landkreis Hildburghausen.

Danach gab es ein leckeres Mittagessen beim Italiener am Marktplatz und dann ging es wieder zum Bahnhof und weiter mit der Süd-Thüringen-Bahn ins fränkische Bad Neustadt an der Saale.

Dort in der frühbarock ausgestatteten besonderen Kirche des ehemaligen Karmeliterklosters strahlt von der Westempore die Ignaz-Samuel-Will-Orgel wie eine prächtige Monstranz. Dass eine einmanualige Orgel von 1722 sieben labiale Achtfußregister aufweist, muss ausdrücklich bemerkt werden.

Deren unbeschreibliche Farbigkeit und Verschmelzungsfähigkeit konnten wir in der beredten Toccata Sexta von Georg Muffat erleben.

Und damit endete diese wundervolle Reise auch für die Reisegruppe, die mit der Bahn ihre Heimreise antrat.