Bahn-Orgelreise ins „Ländle“

Nach einigen sehr schönen Reisen mit Hans-Eugen Ekert, habe ich mich auch zur diesjährigen Bahn-Orgelreise ins „Ländle“ angemeldet. Anders als bei den meisten früheren Reisen, sahen und hörten wir sehr unterschiedliche Orgeln aus allen Epochen – wie immer sehr fachkondig vorgestellt von unserem Kantor i.R. 

Die Dispositionen der Orgeln mit interessanten Hintergrundinformationen von Hans-Eugen Ekert sind jeweils auf eigenen Links hinterlegt. Ebenso kann sich der Besucher dieser Seite durch kurze Hörproben einen kleinen akustischen Eindruck verschaffen.

Dann also viel Freude beim Lesen und Hören!

Während sich die Reisegruppe in Stuttgart gemeinsam auf den Weg machte, wollte ich erst in Tübingen zur ersten Orgelvorführung dazustoßen. Viele Erfahrungen mit der „Pünktlichkeit“ der Bahn veranlassten mich, sicherheitshalber in Tübingen zu übernachten.

Nach einem ausgiebigen Frühstück im Hotel machte ich mich auf den Weg zum Bahnhof, um mich der Gruppe anzuschließen. Die Wiedersehensfreude musste allerdings ein wenig warten, denn der Zug aus Stuttgart war (selbstverständlich) verspätet; die Anzeigetafel wechselte und aus zunächst 10, dann 12, 14, wurden zu guterletzt 20 Minuten. Aber man kennt das ja.

Nachdem alle Koffer und Taschen in Schließfächern verstaut waren, machten wir uns gemeinsam auf den Weg zur Hochschule für Kirchenmusik. Wir wurden dort von Professor Jens Wollenschläger erwartet. Auf seine unermüdliche Initiative ist die dort installierte herrliche Ahrend-Orgel zurückzuführen. Sie ist insofern eine absolute Besonderheit, als sie sowohl in wohltemperierter als auch in mitteltöniger Stimmung spielbar ist. Möglich ist das dadurch, dass jedes Register in jeder Oktav 18 statt 12 Pfeifen hat. Sechs davon werden gemeinsam benutzt, für die mitteltönige und für die temperierte Stimmung stehen dann aber jeweils sechs weitere Pfeifen zur Verfügung. Bedient werden die Register nicht durch Registerzüge, sondern durch Schieber, deren Bedienungsrichtung dann die Art der Stimmung vorgeben.

Info zur Orgel
Klangbeispiele

Nachdem Prof. Wollenschläger uns die Orgel nähergebracht hatte, durften wir einem kleinen Orgelkonzert beiwohnen, in dem wir den Klangreichtum der Orgel bewundern konnten.

Nach einem herzlichen und kräftigen Applaus und einem ebenso herzlichen Dankeschön verließen wir die Hochschule und suchten uns ein Restaurant, denn einige von uns quälte bereits der Hunger. Beim „Neckarmüller“ am Ufer des Neckars wurden wir fündig und nahmen gemütlich unser Mittagessen ein.

An der Stiftskirche von Tübingen erwartete uns danach schon unsere Kirchenführerin, die uns einiges zur Geschichte der Kirche und noch mehr zu den Persönlichkeiten in der Grablege im Chor der Kirche erzählte. Dabei hatten es ihr wohl ganz besonders die weniger bekannten zwischenmenschlichen Beziehungen der dort beigelegten Herrscher und Angehörigen angetan, die sie kurzweilig vor uns ausbreitete. Dabei machte sie uns auch auf die Darstellungen der Hunde zu Füßen der Damen aufmerksam – lebensechte Skulpuren der Lieblingshunde der entsprechenden Frauen.

Wir waren während der Führung allerdings immer wieder versucht, den schönen Klängen der Orgel zuzuhören, an der offensichtlich eine Studentin unterrichtet wurde. Sie sorgte mit einigen Stücken dann auch auf eine erste vorweihnachtliche Einstimmung. Diese Orgel wurde 1965 von Fa. Weigle in Echterdingen gebaut. 2001/02 wurde sie von der Fa. Rensch in Lauffen am Neckar klanglich verbessert. Den schönen Prospekt entwarf der damalige „Orgelpapst“ Dr. Walter Supper.

Wissensgeschwängert und ein wenig getragen von den schönen Klängen der Orgel machten wir uns wieder auf den Weg. Er führte uns zum Musikwissenschaftlichen Institut Tübingen. Dort machten wir die Bekanntschaft von zwei Orgeln von Peter Vier, Lahr-Oberweier, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Die kleine Orgel „in italienischer Manier“ ist mitteltönig gestimmt. Das war seit der Renaissance die übliche Temperierung, bei der die reine Terz Priorität hat und einen besonderen Wohlklang erzeugt. Der Nachteil ist, dass nicht alle Tonarten möglich sind. As-Dur gibt es schlichtweg nicht und bestünde aus den Tönen Gis – C – Es. Das klingt wirklich abscheulich und wurde deshalb der „Wolf“ genannt. Um dem abzuhelfen, unterteilte man im 17. Jahrhundert (und auch bei dieser Orgel) die Obertasten in Es – Dis und Gis – As. So konnte man den Tonartenvorrat erweitern und bei der mitteltönigen Stimmung bleiben.

Info zur Orgel
Klangbeispiele

Erstaunlich war für uns der Klangreichtum dieser sehr kleinen Orgel, die den recht großen Raum mühelos ausfüllte.

Ein wenig ernüchternd war die große Orgel in der kleinen Kapelle. Getränkekisten neben der Orgel deuteten schon darauf hin, dass man dieses Instrument wohl eher nicht als musikalisches Kleinod zu schätzen weiß. Der Klang, der sich an französischen Vorbildern orientiert, konnte nicht in der gleichen Weise überzeugen, wie der der kleinen Orgel im Saal. Insbesondere ist sie in voller Registrierung viel zu laut für den kleinen Raum.

Info zur Orgel
Klangbeispiele

Langsam wurde es Zeit für den Weg und die Fahrt zu unserer Unterkunft, dem Bildungshaus  St. Luzen. Dort stand bereits unser Abendbuffet bereit, das zu unserer Überraschung sogar eine leckere Suppe enthielt.

Der Wetterbericht machte uns für unseren zweiten Tag, Donnerstag, Hoffnung auf besseres Wetter. Sie wurde indes nicht erfüllt und wir waren oft im Regen unterwegs. Temperaturen um die 10 Grad fanden wir anfangs gut erträglich. Das Sitzen in kalten Kirchen und Laufen im Regen änderte allerdings im Lauf des Tages unsere Einschätzung.

Der Tag begann nach dem Frühstück mit der Besichtigung der Klosterkirche St. Luzen. Niemals würde man in so einem kleinen Ort eine solch prächtige Kirche erwarten. Sie ist fast vollständig im Renaissance-Stil erhalten. Ein von der Stadt empfohlener Führer sollte Licht in das Dunkel der vielen Darstellungen und Kunstwerke bringen. Die Fülle der von ihm erwähnten Daten, die der Erbauung der Kirche zugrunde liegen, sorgen allerdings für volle Pufferspeicher unserer Gehirne.

Die Orgel sollte uns dann nach dem Abendessen vorgestellt werden. Für uns ging deshalb die Fahrt weiter nach Mössingen zur Peter- und Paulskirche. Dort steht eine Orgel von Johann Jakob Weinmar aus dem Jahr 1821, aus der Hans-Eugen auch u.a. wunderbar romantische Klänge zauberte. Auch wenn diese Orgel von 1821 ist, hielt man sie lange für eine Barockorgel. Richard Rensch, Lauffen am Neckar, hatte diese Orgel 1978 gegen den Willen des Orgelsachverständigen „gerettet“, indem er die historische Substanz (so gut wie) unangetastet ließ und ein zweites Manual in Form eines separaten Schwellwerks hinzufügte.

Info zur Orgel
Klangbeispiele

Bald wurde es allerdings Zeit zu einer weiteren Einkehr. Wir waren zu Gast bei den „Maulhelden“. Eine ausgesucht freundliche und kompetente Bedienung und wunderbar arrangierte und wohlschmeckende Speisen erfreuten uns in dazu sehr nettem Ambiente – was allerdings durchaus auch seinen Preis hatte.

Auf dem Weg zur Mauritiuskirche in Ofterdingen konnten wir auch das Ofterdinger Schneckenpflaster mit zahlreichen Ammoniten in der Steinlach sehen.

Die Kirche von Ofterdingen überzeugte durch seine außerordentlich klangprächtigen Orgel der renommierten Schweizer Orgelmanufaktur Metzler aus dem Jahre 1995 im barocken Gehäuse. Hans-Eugen meinte, sie habe ihn außerordentlich inspiriert.

Info zur Orgel
Klangbeispiele

Langsam mussten wir wieder aufbrechen, denn das Abendessen in St. Luzen wartete auf uns. Mit Bus und Bahn ging es zurück zum Bildungshaus, wo ein reichhaltiges Buffet für uns bereitstand.

Nach dem Abendessen war noch einmal die Klosterkirche St. Luzen für uns geöffnet. Wieder bewunderten wir die Ausstattung, stiegen nun aber auf die Empore.

Eine Besonderheit dieser Orgel ließ uns staunen: Sie verfügt über zwei Prospekte, eines in Richtung der Kirche, ein zweites in Richtung der Empore. Der Grund liegt darin, dass in späterer Zeit die in St. Luzen ansässigen Mönche ihre liturgischen Dienste auf der Empore feierten und deshalb ebenfalls den Blick auf ein Orgelprospekt und den direkten Klang der Orgel haben sollten. Der Prospekt stammt von 1589, das Innenleben von 1713. Auch sie ist mitteltönig gestimmt.

Hans-Eugen Ekert spielte Musik von Froberger und Sweelinck. Mit einem gemeinsam gesungenen Abendlied fand der reich gefüllte Tag seinen Abschluss.

Info zur Orgel
Klangbeispiele

Der nächste Tag, mittlerweile war es schon Freitag geworden, bescherte uns nach einer überaus flotten Fahrt nach Haigerloch mit dem Bus wieder ein besonderes Erlebnis. Ich zitiere die Beschreibung unseres Orgelführers: „Haigerloch war einst Teil und zeitweise Residenz des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen. Seine Lage am und im tief eingeschnittenen Tal der Eyach ist einmalig. Aufgrund eines Gelübdes des Fürsten Joseph Friedrich wurde 1752-1757 die Wallfahrtskirche St. Anna gebaut, ein Barockbau von höchster Qualität. Die prächtige Innenausstattung ist das Werk dreier berühmter Künstler, der Stukkateure Johann Michael Feichtmayr und Johann Georg Weckenmann, sowie des Malers Meinrad von der Au (Aw).“

Obgleich der Aufstieg sehr steil war, wurden wir mit herrlichen Aussichten auf die Umgebung belohnt.

In St. Anna angekommen, konnten wir uns nur der Beschreibung dieser Kirche anschließen und erst einmal das Innere bestaunen.

Info zur Orgel
Klangbeispiele

Die Orgel ist ein Werk von Hieronymus Spiegel, Rottenburg 1756. Bei der Restaurierung durch die Fa. Stehle 1998 wurde der „gewachsene“ Zustand nach einer Erweiterung des Tonumfangs und einer leichten Veränderung in Richtung Grundtönigkeit von 1853 zum Maßstab genommen.

Von der Bedeutung der Kirche zeugt noch heute die Fürstenloge, die sehr prominent das Aussehen der Empore bestimmt.

Ein weiteres Mal bewahrheitete sich, dass die Größe der Orgel kein Indiz für den Klang darstellt. Diese Orgel klingt einfach nur erstaunlich.

Weil wir am gleichen Tag noch zwei weiter entfernt gelegene Stationen erreichen wollten, nämlich Sigmaringen und dann Ravensburg, wurde es wieder Zeit zum Aufbruch. Das Haus St. Luzen stellte erneut wieder seine Flexibilität und Qualität unter Beweis: Der freundliche Koch hatte für uns ein wunderbares Mittagessen bereitgestellt – und unsere Spekulation über den Haufen geworfen: Es gab keinen Fisch! An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön für die wunderbare Betreuung. Dieses Bildungshaus kann man guten Gewissens weiterempfehlen.

Nach dem Essen ging es wieder durch das „Gartentürle“ zum Bahnhof und mit einem Bummelzug über die Schwäbische Alb nach Sigmaringen. Ein kurzer Weg durch die schöne Stadt führte uns zur Stiftskirche, wo wir gleich zwei Orgeln antrafen: Die historische Chororgel und die große Orgel.

Die kleine Chororgel besteht aus zwei äußerlich fast identischen Prospekten, eines davon enthält die Pfeifen für das Manual, das zweite ist dem Pedal vorbehalten. Es ist immer wieder erstaunlich, über welch lange Wege mit welcher Präzision die Ansteuerung der Pfeifen schon damals gelang.

Info zur Orgel
Klangbeispiel

Die große Orgel stellte Hans-Eugen nur kurz vor. Sie ist sicher schön, aber wir waren ja nun einiges gewöhnt und so außergewöhnlich war sie dann doch nicht.

Info zur Orgel
Klangbeispiel

Interessant ist die Verehrung des Heiligen Fidelis von Sigmaringen. Ihm zu Ehren feiert die Gemeinde alljährlich einen Festgottesdienst und eine Lichterprozession. Auf dem Foto unten ist die „Fideliswiege“ zu erkennen. Uns wurde berichtet, dass noch immer viele Familien ihre Neugeborenen einmal in diese Wiege legen, und gestandene Männer bekennen noch heute ihren Stolz darauf, als Kinder oder Jugendliche einmal die Fideliswiege bei der großen Prozession mitgetragen zu haben.

Nach einem Umweg mit dem Schienenersatzverkehr (Erdrutsch auf den Gleisen!) gelangten wir dann nach Ravensburg. Weil wir spät dran waren, musste ein kurzer Bezug der Zimmer reichen, ehe wir uns direkt zum Essen in den „Engel“ begaben, wo uns eine sehr freundliche Spanierin bediente. Recht spät am Abend fielen wir dann ermüdet ins Bett.

Der Samstag begann nach einem reichhaltigen Frühstück mit einem Bummel durch Ravensburg, denn das Humpis-Museum, das wir besichtigen wollten, öffnete erst um 11 Uhr.

Der Rundgang durch die sehr schöne Stadt brachte für uns die Überraschung eines Marktes mit regionalen Produkten, der sich durch die ganze Stadt zog. Von allerlei Früchten, über Käse, Wurst und, Korbwaren bis zu wunderschönen Blumengestecken war alles zu sehen und zu kaufen, was das Herz begehrt.

Nach einem kurzen Abstecher in der evangelischen Stadtkirche fanden wir uns um 11 Uhr fanden wir uns wieder vor dem Humpis-Museum ein.

Es bot uns einen Einblick in den Aufstieg und das Leben dieser reichen Patrizierfamilie. Von der Ursprüngen einer Gerberei bis zu einer Welthandelsfirma (vom Reichtum zeugten neben den Gebäuden auch zwei Geldtruhen), war angereichert mit Bezügen zu Politik, Kirche und Kultur sehr eindrucksvoll der Aufstieg der Familie zu verfolgen.

Nach einem individuellen Mittagessen ging es per Bahn nach Weißenau, einem Vorort von Ravensburg. Wir fanden die Kirche vollständig eingerüstet vor.

Der Aufstieg zur Empore hatte dann für uns eine handfeste Überraschung zu bieten: Ein Gerüst versperrte den Zugang zur Empore und war nur durch einen kleine Kletterei zu überwinden. Nachdem Hans-Eugen den Aufstieg gemeistert hatte, konnten wir die eindrucksvolle Orgel hören. Sie bot wunderschöne leise Register, konnte aber auch durch ein gewaltiges Plenum überzeugen.

Info zur Orgel
Klangbeispiele 1
Klangbeispiele 2

Mittlerweile hatte das Wetter ein Einsehen mit uns und nach den gelegentlichen mittäglichen Sonnenstrahlen zeigte sich der Himmel von seiner schönen Seite. Das verführte uns zu einer Programmänderung: Einige von uns fuhren kurzerhand an den Bodensee und genossen einen herrlichen Spätnachmittag am Ufer von Friedrichshafen. Abgerundet wurde der Ausflug durch ein köstliches Abendessen im Yachtclub.

Am nächsten Morgen hieß es für mich Abschied zu nehmen. Während die Gruppe nach Friedrichshafen zum Gottesdienst und zur anschließenden Orgelvorführung aufbrach, nahm ich den Rückweg nach Hause.

Hans-Eugen Ekert fasste den letzten Tag der Reisegruppe mit folgenden Worten zusammen:

Nach dem Besuch des Gottesdienstes in der Schloßkirche von Friedrichshafen nahm sich der junge Kirchenmusiker Manuel Mader noch die Zeit, uns die neue viermanualige Gaida-Orgel – ein hypermodernes Instrument – vorzustellen. Die Register der im Raum verteilten vier Teilwerke lassen sich beliebig den Manualen zuordnen, was dem Werk einerseits eine ungeahnte Flexibilität verleiht. Um all die Möglichkeiten auszunutzen, bedarf es andererseits aber einiger Vorbereitungszeit. Bis ein neues Stück optimal eingerichtet ist, dauert es für den Organisten durchaus zweieinhalb Stunden. Das Klangergebnis bestätigt dann allerdings, dass es die Mühe wert war.

Bevor sie den Rückweg in die Heimat antrat, konnte sich nun auch der Rest der Reisegruppe davon überzeugen, dass man im Yachtclub-Restaurant Commodore in wundervollem Ambiente mit direktem Seeblick hervorragend essen kann.

Nach einem kurzen Fußweg zum Bahnhof, ging es dann per Bahn zurück zum Ausgangspunkt der Reise, wo sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser intensiven und erlebnisreichen Orgelreise verabschiedeten.